Ein Licht in der Wüste

Solarzellen, Biogas, eigenes Saatgut – vor zehn Jahren entschieden sich die Einwohner von Guédé Chantier im Senegal, ihren Ort zum Ökodorf zu machen. Heute gilt die Gemeinde als Vorbild für das ganze Land
VON OUSMANE PAME
Ousmane Pame, geboren in Guédé
Chantier, Senegal, ist Präsident des Global Ecovillage Network Africa und lehrt außerdem Afrikanische Literatur an der Université Cheikh Anta Diop in Dakar. Seit 1997 setzt er sich in seinem Geburtsort für Umweltschutz und Bildung ein. 2009 wurde er zum Bürgermeister von Guédé Chantier gewählt. Pame lebt in Dakar.
Mein Geburtsort, das Dorf Guédé Chantier, dessen Bürgermeister ich heute bin, liegt im Norden Senegals und an den Ufern des gleichnamigen Flusses. Auf den ersten Blick sieht es aus wie viele Dörfer der Sahelzone. An staubigen Sandstraßen tummeln sich kleine Verbünde hölzerner Hütten. Doch wer weiter in den 7000-Seelen-Ort vordringt, stellt bald fest: Guédé ist anders. Überall sprießen grüne Pflanzen, große Ackerfelder unterbrechen die Bebauung, auf Dächern blitzen Solarzellen im Licht, und hier und da werden deutsche, britische und amerikanische Studierende durch die Straßen geführt, halten Blöcke in den Händen und notieren leißig alles, was sie sehen. Sie kommen, um sich eines der ersten senegalesischen »Ökodörfer« anzuschauen.
In Guédé bestimmen die Dorfbewohner gemeinsam mit mir über das Schicksal der Gemeinde. Mit neuen Entwicklungskonzepten und innovativer Technologie wollen wir unseren Ort für die Zukunft wappnen. So nachhaltig wurde in Guédé nicht immer gedacht. Als die französischen Kolonialisten das Dorf in den 1930er-Jahren gründeten, brachten sie die künftigen Bewohner gleich gewaltsam mit. Die zur Arbeit gezwungenen Senegalesen sollten das Land roden und Reisfelder anbauen, die Gesundheit des Bodens wurde aus Proitgier geopfert. Das änderte sich auch mit dem Ende der Kolonialherrschaft nicht. In den 1970er-Jahren kooperierte die senegalesische Regierung eng mit der chinesischen Wirtschaft.
Um die Effizienz der landwirtschaftlichen Produktion in Guédé und vielen anderen Ortschaften im Land zu maximieren, setzte man billige Düngemittel und Pestizide ein, die von neu angesiedelten chinesischen Betrieben produziert wurden. Auf den hochschädlichen Produkten fanden sich entweder gar keine Warnhinweise oder sie waren in Chinesisch gehalten. Die lokalen Bauern verwendeten sie, ohne sich zu schützen, trugen keine Handschuhe, keine Masken, keine Arbeitskleidung. Im Gegenzug versorgten die chinesischen Investoren das Dorf kostenlos mit Elektrizität. Guédé wurde zum ersten Ort der Region, in dem von 18:30 Uhr bis Mitternacht Licht leuchtete. Von den umliegenden Gemeinden aus sah Guédé wie eine leuchtende Sternschnuppe in der dunklen Wüste aus. Abends wurden Filme gezeigt. Sie handelten von Mao Zedong und der Herrlichkeit Chinas – für uns Einwohner, die weder den chinesischen Kommentar noch die englischen Untertitel verstanden, wirkte das wie Magie. Die meisten waren so gebannt von den Bildern, der neuen Technik, der Entwicklung des Dorfes, dass sie blind wurden für die Gefahren des vermeintlichen Fortschritts.
Die Böden warfen keinen Ertrag mehr ab und viele Menschen flüchteten !!!! Ende der 1970er-Jahre kriselte es dann in den chinesischsenegalesischen Beziehungen und die Investoren zogen ab. Gleichzeitig zwangen die neuen Auflagen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank die Regierung dazu, sich »strukturell anzupassen«. Die Finanzierung des Bildungssektors und die Subventionen für die Landwirtschaft wurden gekürzt.
Guédé stand plötzlich allein da. 1994 setzte die erste Hungersnot ein. Die ausgelaugten Böden warfen keine Erträge mehr ab und viele meiner jungen Freunde und Bekannten zogen in die Städte oder flüchteten ins Ausland. Die Wende kam erst viel später, im Jahr 2007 unter einem Palaverbaum, an dem sich die Dorfgemeinde traditionell trift, wenn es Entscheidungen zu fällen gilt. Ich kehrte damals von einer Konferenz zurück, bei der ich vom Konzept »Ökodorf« erfahren hatte. Das Global Ecovillage Network (GEN), eine Vereinigung von Gemeinden rund um den Globus, stellte damals in Senegal ihr Konzept vor. Es ging darum, kleine Ortschaften nachhaltig zu entwickeln, unter Teilhabe aller Einwohner umzustrukturieren und gleichzeitig die Landschaft und die Böden zu konservieren. Ich berichtete davon und warf die Idee in den Raum, unseren Ort als Ökodorf neuzugründen. Vor dem Hintergrund unserer langen Leidenszeit waren die meisten sofort Feuer und Flamme. Anfangs galt es vor allem, Investoren zu finden und politische Kontakte zu knüpfen. Dass Guédé 2009 von der Regierung offiziell als Gemeinde und nicht mehr nur als Dorf anerkannt wurde, half dabei. So konnten wir Gremien wählen und erstmals einen politischen Vertreter benennen. Ich wurde Bürgermeister und konnte so viele Veränderungen selbst in die Hand nehmen. Wir traten dem GEN offiziell bei und erstellten eine Website, ein Facebook-Proil und eine Mailing-Liste, die so viele ehemalige Einwohner von Guédé erreichen sollte wie möglich. Wir wollten alle in den Prozess einbinden und um Unterstützung werben.
Wir gründeten auch eine Online-Zeitschrift, die an potenzielle Spender wie Universitäten und Botschaften gesendet wurde. Unser erster Kooperationspartner war eine amerikanische NGO, die uns half, eine nachhaltige Fischereiwirtschaft zu etablieren, die sowohl unseren Fluss schützte, als auch die Gemeinde ernähren konnte. Mit Geldern von der Europäischen Union finanzierten wir die erste Müllabfuhr und die Restauration eines alten Kolonialgebäudes, das in ein Gemeinde- und Umweltcenter verwandelt wurde.
Mit senegalesischen Regierungssubventionen und der Hilfe französischer Hilfsorganisationen wurde eine Schule gebaut. Außerdem schufen wir ein Zentrum für Saatzucht, in dem wir lokales Saatgut vervielfältigen wollten. Im Austausch mit universitären Forschungseinrichtungen arbeiteten wir die nachhaltigsten Methoden heraus, um auf den strapazierten Böden von Guédé wieder Nutzplanzen anbauen und organische Landwirtschaft betreiben zu können.
Heute bauen wir nicht mehr nur Reis an, sondern auch Okra, Tomaten und Mais und die Bauern im Ort bekommen regelmäßig Unterricht in Sachen Kompostierung und organisches Düngen. Noch wichtiger wurden die »Eco-Sentinelles«, die »ÖkoWächter«. Das sind junge Einwohner von Guédé, die begannen, sich für den lokalen Naturschutz starkzumachen. Sie räumten Straßen auf, kreierten Kampagnen gegen chemische Düngemittel und Plastikmüll und setzten sich gegen kulturelle Entfremdung ein. Denn damit ein Ökodorf floriert, müssen wirtschaftliche, kulturelle und ökologische Werte miteinander in Einklang gebracht werden. Gerade planen wir deshalb den Bau eines medizinischen Pflanzengartens. Es soll ein Ort werden, an dem traditionelle Heiler und Fachärzte ihre Kompetenzen austauschen können. Dass heute amerikanische, europäische und senegalesische Schulklassen nach Guédé kommen, um sich die Umsetzung der verschiedenen ökologischen Initiativen anzusehen, liegt nicht nur daran, dass unser Dorf mittlerweile Strom aus Solarzellen und Biogas gewinnt. Das internationale Interesse an dem Projekt hat einen viel wichtigeren Grund. Genau wie Guédé Ende des 20. Jahrhunderts unter der Umweltzerstörung, der wirtschaftlichen Ausbeutung und der daraus resultierende Armut litt, so kämpfen auch heutzutage noch viele ländliche Gemeinden auf der Welt mit diesen Problemen.
14.000 Ortschaften sollen in den nächsten Jahren zu Ökodörfern gemacht werden
Das hat nicht nur lokale und nationale Konsequenzen, sondern auch globale: Die Strukturschwäche kleiner Gemeinden ist eine der Hauptursachen für Flucht und Migration. Immer mehr Politiker beginnen zu begreifen, dass sich das nur ändern lässt, wenn natürliche Ressourcen wiederhergestellt werden und man einkommensgenerierende Aktivitäten für Menschen auf dem Land schaft. Das hat nun auch die senegalesische Regierung begrifen: Geht es nach ihr, dann sollen in den nächsten Jahren 14.000 Ortschaften am Beispiel Guédés zu Ökodörfern gemacht werden. Auch wenn es den Politikern in Dakar dabei vorranging um den wirtschaftlichen Proit geht, wäre das für die Menschen auf dem Land ein riesiger Schritt nach vorn.
Aus dem Englischen von Franziska Schulz